Halbfinale, Rückspiel im Europapokal der Pokalsieger 1975/1976: RSC Anderlecht vs. BSG Sachsenring Zwickau 2:0

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Spielbericht

Die Angst ist ein schlechter Ratgeber

Fünf klassische Rennen elektrisieren Belgiens Radsportfans in der Vorsaison. "La Fleche Wallone" ("Der wallonische Pfeil") führte am vergangenen Donnerstag über 227 Kilometer durch die Ardennen nach Verviers. In einer langen Alleinfahrt distanzierte Joop Zoetemelk, der "fliegende Holländer", Belgiens Asse. Zwanzig Stunden vorher zog dagegen die belgisch-niederländische RSC-Kombination gemeinsam ihre Kreise. "Noch nie erreichte eine belgische Mannschaft eines der beiden hochdotierten Europapokal-Endspiele der Meister oder Pokalsieger. Wir, Anderlecht, sind die ersten", erklärte der überglückliche RSC-Sekretär Armand Schelfhaut. Viel Mühe brauchten sich die Gastgeber nicht mehr anzutun. Das 3:0 von Zwickau entsprach der Größenordnung des 102 Meter hohen Atomiums, 1958 zur Brüsseler Weltausstellung gebaut, eines der vielen Wahrzeichen der Stadt. Beides war für Sachsenring zu groß, zu hoch, unerreichbar. "50.000 werden Anderlecht gegen West Ham United unterstützen", prophezeite "Les Sports". Schon vor dem Rückspiel hatten die Anhänger der Lila-Weißen nicht daran gezweifelt, am 5. Mai im Brüsseler Heysel-Stadion ein "Heimspiel" nach ihrem sangesfreudigen Geschmack zu gestalten. Zwickau hatte bereits vor dem Anpfiff des höchst eigenwillig leitendenden Spaniers Sanchez-Ibanez (keine Vorteilauslegung, unglückliche Abseitsentscheidungen) die Waffen gestreckt. Anderlecht brauchte sich nicht mehr herausgefordert zu fühlen. "Dafür waren in einer insgesamt bemerkenswerten Europacup-Serie ausgerechnet die beiden Begegnungen mit den Belgiern unsere schwächsten", machte Jürgen Croy aus den hochverdienten Erfolgen des Kontrahenten kein Hehl. "Für die 25.000 war Sachsenring ein Phänomen. Unfaßbar, den Bezwinger von Celtic Glasgow fast nur im Rückwärtsgang zu sehen", sagte Jan Mulder, 1967 im EC I mit van Himst die gefürchteten Anderlecht-Spitzen gegen den FCK, heute journalistisch tätig. Damals wie heute war der RSC für DDR-Vertreter ein zu heißes Pflaster, ein zu weites Feld.

Denn: Sachsenring konnte nicht geben, was es nicht besaß - spielerische wie konditionelle Fitneß! Kampf kontra Kampf - gegen, die ebenso gelagerten Schotten ging das (noch) gut. Spielerisches Format (beim RSC) kontra ängstliche Zurückhaltung (so Zwickau) im Parc Anstrid, war das in der Vorwoche eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten für die Westsachsen. Sie zu lösen, hätte es nachgerade eines außergewöhnlichen Kraftaktes unseres DDR-Vertreters bedurft. Doch selbst für eine respekteinflößende Partie mangelte es Sachsenring an den unerläßlichen physischen Voraussetzungen. Eine knappe Stunde hielten sie vor, da flackerte der Kampfgeist auf. Dann "spielten wir unseren Kombinationsfußball mühelos aus" (so Arie Haan), "vom Balkon herab" (nach Jean Dockx).

"Zwickau mußte ja ,kommen`. Da konnten wir in aller Ruhe auf unsere Konter warten. Eine Spielweise, die uns förmlich auf den Leib geschneidert ist", resümierte RSC-Trainer Hans Croon. Die Order, steil, temperiert auf Ressel und Rensenbrink zu servieren, war vor allem Haan zugedacht. Er sowie die Dauerrenner van der Elst und Coeck ("Nicht so überzeugend wie in Zwickau, - da ihn Schwemmer besser abblockte", so Alois Glaubitz) schürten das belgische Angriffsfeuer. Die Fähigkeit, methodische Angriffsaktionen überlegt zu entwickeln, ging ihnen ebenso leicht von der Hand wie die Spontanität, das Unberechenbarste von einem zum anderen Augenblick zu initiieren. Anderlechts Kontakt mit dem Leder hatte etwas von der Art an sich, einer schönen Liebhaberei zu frönen. ,,Unsere technischen Nachteile waren dagegen zu gravierend, um bei allem anzuerkennenden Bemühen unserer Mannschaft ernsthaft mithalten zu können", vermochte Sachsenring-Trainer Karl-Heinz Kluge nur dagegen zu halten. Wie viele Vorteile die Belgier allein aus individuellen technischen Mängeln der Zwickauer zogen, ist kaum zu beschreiben!

"Het Volk" erwies der unermüdlichen Laufarbeit von Reichelt gegen den trickreichen Rensenbrink ebenso die Reverenz wie der sportlichen Haltung der Zwickauer, sich in das Ausscheiden zu schicken, ohne zu unkorrekten Zweikampfmitteln zu greifen. In der Tat: als fairer Widersacher wird Sachsenring in der Erinnerung der Belgier bleiben, als populäre Mannschaft angesichts der destruktiven Spielweise auf keinen Fall. Der langatmige, tempoverschleppende Breitwandfußball hatte lediglich eine Funktion: die Resignation, die Angst zu verdrängen, eine möglichst knappe Niederlage als das maximal Mögliche anzusehen. Zu viel Selbstbescheidung, um Anderlecht ein ebenbürtiger Kontrahent zu sein!

(Quelle: Die neue Fußballwoche; Autor: Günther Simon)

Tore

1:0 Rensenbrink (43.), 2:0 van der Elst (58.)

Aufstellungen

RSC Anderlecht: (Trainer: H. Croon)

Ruiter, van Binst, Dockx, Broos, Thissen, Vercauteren, van der Elst, Haan, Coeck, Ressel, Rensenbrink

BSG Sachsenring Zwickau: (Trainer: K.-H. Kluge)

Croy, H. Schykowski, Reichelt, Stemmler, J. Schykowski, Leuschner, Schwemmer, Dietzsch, Braun (63. Lippmann), Bräutigam, Nestler

Schiedsrichterkollektiv

Sanchez-Ibanez, Castillo, Ron (alle Spanien)

Zuschauer

25.000

Spielort

Stade Emile Verse, Brüssel

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